Mittwoch, 29. Mai 2013

Folge 16: Kritik der praktischen Vernunft

"Designer-Autos", also Autos, die von Designer-Designern designt wurden, haben häufig etwas Seltsames, und noch häufiger gehen sie gar nicht erst in Serie. Es scheint, dass das grundlegende Nachdenken über das Automobil zu so radikalen Lösungen führt, dass weder Publikum noch Industrie angetan sind. Die Form wird beim Vernunft-Design entweder nachlässig als notwendiges Übel mitgezeichnet oder bewusst als vernünftige Form ohne Schnickschnack konzipiert.
1965 wurde der Prototyp des "Autonova Fam" präsentiert, ein kompakter Van für Stadt und Reise. Konzipiert und designt hatten ihn der damals sehr bekannte Autojournalist Fritz B. Busch und zwei Studenten der Hochschule für Gestaltung in Ulm, Michael Conrad und Piero Manzoni (in lombardischer Schreibweise Pio Manzú). Der Wagen sollte das Stadtauto der Zukunft werden.

Der Autonova Fam von Michael Conrad, Piero Manzú und Fritz B. Busch. Foto M. Caspers
Conrad und Manzoni/Manzù durften nach eigener Aussage an der HfG Ulm "Autos nicht einmal erwähnen", wie es im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, Ausgabe 39 von 1965 hieß, wollten aber unbedingt Autos designen. Das Projekt Autonova machten sie heimlich. Die Zurechnung des Autonova Fam zu den Studienleistungen der HfG Ulm ist somit nicht zutreffend.
Die Bodengruppe kam vom deutschen Hersteller Glas, dessen 1300 ccm-Motor als sehr fortschrittlich und leistungsstark galt. Gesponsort wurde das Konzeptauto außerdem von NSU und dem Reifenhersteller Veith-Pirelli. Alle Medien berichteten, für die Sponsoren hatte der "Fam" seine Schuldigkeit getan.
Das Problem: Den "Fam" konnte man – wie es Der Spiegel genüsslich tat – nicht allein der Form wegen, sondern der Technik wegen kritisieren: zu schwer, zu stark motorisiert, zu schlecht verarbeitet. Da die Form keinerlei Repräsentationsaspekte bot und der Prototyp auch noch in Weiss lackiert war, standen die Chancen für die Serienfertigung schlecht.
Conrad gründete nach dem Studium mit zwei Ex-Kommilitonen ein Designbüro bei Stuttgart; Manzù ging zu Fiat und entwarf dort 1969/70 den Fiat 127, bevor er kurz darauf unerwartet starb. 




Dienstag, 28. Mai 2013

Folge 15: Automobildesigner werden – wie ging das?

1928 gilt als Geburtsjahr des Industrial Design: Raymond Loewy bekommt seinen ersten Auftrag als Formgestalter und macht sich daraufhin als Industial Designer selbstständig; Harley Earl ist von L.A. nach Detroit zu General Motors gewechselt und baut die Art & Colour Section auf, die erste Designabteilung bei einem Automobilhersteller. Mit zunehmendem Einfluss der Form auf den Verkaufserfolg werden Industrial Designer und Stylisten (so heißen die Entwerfer für Autos bis in die 1980er Jahre) Hände ringend gesucht. Doch woher nehmen? Den Beruf gab es ja vorher gar nicht.


Fisher Body Craftsman's Guild Competition 1947: Der Sieger heißt Chuck Jordan. Vier Jahrzehnte später ist er Vice President of Styling bei General Motors. Von 1967 bis 1970 war er Head of Styling bei Opel und verantwortlich für das CD Concept, den GT, Manta und Commodore.

 Zur gleichen Zeit arbeitet man in Europa – bspw. im Bauhaus – mit Hochdruck an der Ausbildung von Industriegestaltern, allerdings kämpft man mit dem Prototypenbau für Möbel, Leuchten und Kaffeegeschirr. An Automobile wagt sich niemand.
Die ersten Automobildesigner sind im früheren Leben Zeichner bzw. Werbegrafiker gewesen; jetzt versuchen sie, ihr dreidimensionales Verständnis und ihre Phantasie  in 1:1-Zeichnungen mit Kohle oder Kreide auf die Studiowand zu bringen. Der enorme Bedarf an Designern allein bei GM führt dazu, dass der Konzern gemeinsam mit dem Karosseriehersteller Fisher Body einen Wettbewerb für talentierte Jungen startet, die Fisher Body Craftsmanship. Aus den eingereichten Zeichnungen und Modellen werden die besten ausgewählt und veröffentlicht, ihre Schöpfer können eine Ausbildung in den werkseigenen Ateliers machen und als Stylisten beginnen. Dem Leiter der Stylingabteilung von GM, Harley Earl, ist sehr an der Ausbildung des Nachwuchses gelegen. Vor 1930 hatte es nur Privatunterricht bei ehemaligen freiberuflichen Entwerfern wie dem amerikanischen Pionier Andrew F. Johnson gegeben, die ihre Kursinhalte teilweise auch postalisch als Fernstudium anboten. Jetzt bieten die großen Automobil- und Karosserie-Hersteller Inhouse-Colleges für talentierte Zeichner an.


Der ehemalige GM-Designer Strother McMinn unterrichtet Automotive Design am Pasadena Art Center College; 1960. Foto: Art Center College of Design

Die ersten "regulären" Colleges Amerikas, in denen man Design studieren konnte, waren das Pasadena Art Center College of Design in Los Angeles (ab 1931) und die Pratt School of Design in New York (ab 1932). GM baute ab 1938 ein eigenes Institut, das Detroit Institute of Automotive Design (DIAS) auf. Erst in den 1950er Jahren wandten sich einige wenige Kunst- und Designhochschulen dem Industrial Design im Allgemeinen und dem Automotive Design im Besonderen zu. Deshalb haben die meisten europäischen Designer, die zwischen 1955 und 1970 ihre Karriere beginnen, noch keine Designausbildung im heutigen Sinn, sondern kommen als Zeichner und Illustratoren in die Entwurfsabteilungen – bei Pininfarina genauso wie bei Mercedes-Benz oder Auto-Union.