Montag, 27. August 2012

Folge 14: Ist Automobildesign männlich?


Ist Automobildesign männlich?
Die Frauen in den Studios

Wer die Namenslisten der Design- und Stylingstudios durchgeht, stößt selten auf weibliche Designer. Woher kommt das? Als das Automobildesign begann, eine eigene professionelle Branche zu werden, schienen sich nur Jungs für diesen Beruf zu begeistern. Die Talent- und Ausbildungswettbewerbe der „Großen Drei“ (GM, Ford, Chrysler) richteten sich dezidiert an junge Männer. In den späten 1930er Jahren erkannte die Marktforschung, dass die Entscheidung zum Autokauf in großem Umfang von Frauen mitbestimmt wurde. Ihnen musste der Wagen genauso gefallen wie dem Mann. So kam man auf eine interessante Teilung: Exterior Design wurde von Männern für Männer gemacht. Sozialprestige, Status, Posing – das musste vom Karosseriedesign befriedigt werden. Innen jedoch musste der Wagen vor allem den Frauen gefallen: Sitzbezüge, Ausstattungsdetails, Schalter, Gadgets – das war die weibliche Seite des Automobils..

Der 1941er Modelljahrgang von Hudson war in vielen Details von Betty Thatcher-Oros designt worden.
 Die erste: Betty Thatcher
Der Wettbewerb auf dem amerikanischen Markt zwang vor allem die kleineren US-Hersteller, andere Wege zu gehen als die Großen. Hudson wollte es zu Beginn der 1940er Jahre der Konkurrenz zeigen, indem man für das Exterior Design bekannte Designer verpflichtete. Außerdem sollten die Interiors von einer Frau für Frauen gestaltet werden. 1939 kam die gerade zur Industriedesignerin graduierte Betty Thatcher zu Hudson, um die Modelljahrgänge 1940/41 zu designen. Bei Hudson lernte sie ihren Mann, den Designer Joe Oros kennen. Als dieser zu GM und später zu Ford wechselte, kündigte Betty Thatcher-Oros ihren Hudson-Vertrag, um Konkurrenzkonflikten aus dem Weg zu gehen.


Helene Rother, aus Leipzig stammend, hatte in Hamburg und Dessau (Bauhaus) studiert, war dann nach Paris gegangen und dort als Designerin sehr erfolgreich. 1940 floh sie über Casablanca in die USA. (Foto Wikipedia)
Der erste weibliche Stardesigner: Helene Rother
Die Deutsch-Französin Helene Rother schaffte etwas, was 1943 vollkommen ungewöhnlich war: Sie wurde Designerin bei GM. Doch nicht nur das: Die 1940 aus dem von den Nazis besetzten Frankreich mit ihrer 7-jährigen Tochter geflohene Rother gehörte außerdem zu den bestbezahlten Designern überhaupt. Sie verdiente 1945 monatlich $ 600, die meisten ihrer Kollegen nur etwa $ 200. 1947 machte sie sich erneut als Industriedesignerin selbständig und entwarf für verschiedene Hersteller Interieurs und Polsterstoffe. Nash, neben Studebaker der letzte verbliebene kleinere Hersteller, verpflichtete Rother von 1949 bis 1954 für die Innenausstattung und warb mit dem Slogan »Styling von Pininfarina, Innenausstattung von Madame Helene Rother, Paris«.

GM-Designchef Harley Earl mit dem ersten rein weiblichen Designteam der Automobilindustrie, um 1956. Die "Kacheln" an der Wand sind Farbmuster. (Foto GM Corp.)
 GM macht Ernst: Die erste weibliche Designabteilung
Der erste Designchef von GM, Harley Earl, galt als Rabauke: Er fluchte, trank, machte Mitarbeiter gerne einen Kopf kürzer und galt als extrem launisch. Aber er war auch ein extrem wacher Mensch, der Trends sofort aufspürte und dann durchsetzte, was er für notwendig hielt. 1955 krempelte er die Abteilung Interior Design um und besetzte ein Team nur mit Frauen. In der Presse firmierten die sechs Designerinnen im damaligen Jargon als die »Damsels of Design«, was etwa so seriös klingt wie das berüchtigte »Fräulein vom Amt«. Suzanne Vanderbilt, Marjorie Ford, Ruth Glennie, Sandra Longyear, Peggy Sauer und Jeanette Linder erarbeiteten komplette Zukunftsinterieurs für Automobile und Wohnungen, die man sich damals vor allem ferngesteuert vorstellte. 1961 schied Harley Earl als Designchef von GM aus. Sein Nachfolger Bill Mitchell hatte vieles mit Earl gemein, nur nicht die Experimentierfreude. 1963 löste er die Abteilung auf. Er war als Chauvinist überzeugt, dass nur Männer Autos entwerfen können.

Samstag, 25. August 2012

Folge 13: Design im British Empire, Pt. 1

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Design im British Empire, Teil 1
Klassenbewusstsein auf vier Rädern

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten britische Automobile teilweise als schnell, teilweise als luxuriös, teilweise als sportlich gegolten, gestalterisch waren sie nicht weiter aufgefallen. Aufregende Designs für Bentleys oder Rolls kamen von französischen Karrossiers; die automobile Form wurde erst ab 1950 als Argument am Markt erkannt.

Es war vor allem die Marke Jaguar, die bewies, dass das Design eines Autos – vorausgesetzt die Technik hielt mit – entscheidend am Erfolg beteiligt war. Die Limousinen zeichnete der Gründer William Lyons selbst, die Sportwagen entwarf der Aerodynamiker Malcolm Sayer, der nach dem Krieg aus der Luftfahrtindustrie zu Jaguar gekommen war. Der XK 120 von 1948, die Rennwagen C- und D-Type, vor allem aber der XK-E von 1961 machten Jaguar zu einer festen Größe der britischen Automobilindustrie. Gemessen an anderen Oberklasse-Limousinen waren die auch sportlicheren Jaguar-Saloons stilistisch bis 1963 weit vorne.
Der XK 120 von 1948 bezog sich auf die Stromlinie der späten 1930er Jahre (Talbot-Lago, Bugatti). Die MGs aus der gleichen Zeit waren im Vergleich dazu stilistisch gesehen Seifenkisten. Deckblatt des Prospekts für den internationalen Markt

Vom Oberhaus in die Vorstädte
Rover war neben Ford England bis in die 1960er Jahre einer von zwei Herstellern mit einer Designabteilung, die klein, aber fein war. David Bache hatte mit dem Rover P5 eine repräsentative Limousine gezeichnet, die englische Werte mit amerikanischen Einflüssen (Chrysler 300) vermischte. 1963 lieferte er mit dem P6 eine moderne Mittelklasse-Limousine ab, die 14 Jahre lang nahezu ohne Retusche in Produktion blieb.

Für die viel größere Austin-Gruppe spielte Design eine untergeordnete Rolle. Der Italiener Ricardo Burzi war Ende der 1920er Jahre auf Empfehlung von Vincenzo Lancia zu Austin gekommen und entwarf plumpe, knubbelige Modelle. Als man damit ab 1957 nicht weiter kam, beauftragte man – wen sonst? – Pininfarina, der für viele Jahre Austins Hausdesigner blieb. Der A40 Farina brachte italienisches Flair ins Reich des Nebels.
Der Triumph Herald war von Michelotti gezeichnet worden. Pininfarina hatte für den Austin Cambridge ganz ähnliche Heckleuchten und -flossen entworfen – ein bisschen Detroit für die Insel. Foto aus einem Verkaufsprospekt, ca. 1968.

Austins ewiger Rivale war Triumph-Standard. Auch hier suchte man Ende der Fünfzigerjahre nach neuen Lösungen, doch eine eigene Designabteilung gab es nicht. Da Pininfarina bereits gebucht war, blieb nur der Weg zum Konkurrenten Michelotti. Dieser entwarf zwischen 1957 und '77 alle Triumph-Modelle wie den Herald, den TR4, den 2000 und den Spitfire.

Design ohne Gestaltung?
Was ist eigentlich, wenn ein Auto vor allem seiner Form wegen geliebt und verehrt wird, diese Form aber nicht im klassischen Sinn »designt« wurde, sondern von einem Konstrukteur bzw. Ingenieur um die Technik herum »gefummelt« wurde? Natürlich sprechen wir auch hier von Design, denn das Objekt bzw. Produkt hat ja eine Gebrauchsform. Dem Erfinder des Austin Mini, Alec Issigonis, war Design suspekt. Er glaubte an die Überzeugungskraft der guten technischen Lösung, was ihm beim Mini auch gelang. Seine frühen Skizzen zum Mini zeigen auch, dass er von Anfang an eine Vorstellung der Karosserieform hatte, auf die Ausarbeitung von gestalterischen Details, ja gar eine Ausschmückung verzichtete er ganz bewusst. So gelangte der Mini in die paradoxe Situation, innerhalb weniger Jahre nach seinem Erscheinen 1958 zu einem Zeichen von Modernität, Hipness, Swinging London etc. zu werden, obwohl er konstruiert und nicht designt worden war. Heute gilt er als Design-Ikone ...
Alec Issiginis' Geniestreich: Der »Mini« von Austin, Morris, Riley, Wolseley, Innocenti. Ein Auto »ohne« Design, dessen Form (ähnlich wie beim VW Käfer) Symbol einer Zeit und eines Lebensstils wird. Pressefoto von 1962

Das Elend der britischen Autoindustrie lag noch in weiter Ferne – doch der Verzicht auf technische und gestalterische Weiterentwicklung begann bereits Mitte der 1960er Jahre.

Freitag, 17. August 2012

Folge 12: Gestalterische Investitionen

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Europa in den 1950er Jahren

Als sich die Nachkriegswirtschaft erholt hatte und neue politische und wirtschaftliche Stabilität in Europa herrschte, war die Nachfrage oft größer als das Angebot und die Aussicht auf ein funktionierendes Produkt ließ sein Aussehen oft in den Hintergrund treten. Das war auch beim Automobil so. Bis 1955 produzierten die meisten Hersteller leicht modifizierte Vorkriegsmodelle. In den wenigen Stylingabteilungen standen Männer, die schon Ende der 30er Jahre dort gestanden hatten: Herrmann Ahrens und Friedrich Geiger bei Mercedes, Peter Szymanowski und Wilhelm Meyerhuber bei BMW, Erwin Kommenda bei Porsche. Ford und Opel arbeiteten nach Vorgaben aus den USA, »Gastdesigner« aus den großen Stylingstudios zeigten ihren deutschen Kollegen, wo es lang gehen sollte. Doch um 1957 änderte sich die Einstellung. Design war ein Verkaufsargument auf einem Markt geworden, der durch das Wirtschaftswunder plötzlich hart umkämpft war. Das amerikanische Design war durch die vielen in Deutschland stationierten US-Truppen gegenwärtig. Die italienische Schule machte mit italienischen Sportwagen, aber auch mit Entwürfen für Peugeot, Austin, Triumph auf sich aufmerksam und setzte Trends.

Neue Linien
1957 stellt Mercedes zwei junge Designer ein, den Franzosen Paul Bracq und den Italiener Bruno Sacco. Unter ihrem Chef Geiger erarbeiten sie die neuen Linien für die 1960er Jahre. Heraus kommen die berühmten Flachkühlermodelle W111/112, der Pagoden-SL und der 600. Sie katapultieren die biedere Marke plötzlich auf eine Höhe mit italienischen oder französischen Entwürfen, was man bei Mercedes nicht gerne sieht – bloß nicht modisch werden.
Mercedes Benz Reihe W111 – 1961 der Beginn der Abkehr vom Flossenbarock (Daimler AG)

BMW geht es zur gleichen Zeit so schlecht, dass eine Übernahme durch Mercedes denkbar scheint. Veraltete Modelle (der »Barockengel«), eine lückenhafte Modelpalette, verfehltes Management. Auch der von Goertz designte Supersportwagen 507 kann daran nichts ändern. Mit Geld der Familie Quandt und einer neuen Modellpolitik gelingt die Wende. Dazu trägt nicht unwesentlich ein italienischer Designer bei: Giovanni Michelotti gestaltet den Kleinwagen BMW 700, der ein Verkaufsschlager wird und arbeitet danach maßgeblich an den neuen Mittelklassemodellen 1500 und 2000 mit, der legendären »Neuen Klasse«, die mit dem Motto »Aus Freude am Fahren« eingeführt wird.
BMW 700: klassische Trapezform von 1960. Design Giovanni Michelotti (Foto: BMW AG)
Styling als Sieg der Vernunft
1960 sieht es so aus, als könne kein europäischer Hersteller auf die Hilfe externer Designer – in der Regel Italiener – verzichten. Doch dann tritt Ford den Gegenbeweis an mit dem Modell  17M/P3. Ein Team um den aus dem Ford Styling Headquarter kommenden Wes Dahlberg und den jungen deutschen Designer Uwe Bahnsen entwirft eine hochmoderne, elegante Karosserie, die übersichtlich, klar geformt und auch noch strömungsgünstig ist. Die Front mit den in die Karosserie integrierten Stoßstangen und den in die Stoßstangen integrierten Blinkern wird ein Leitbild für alle Ford Modelle bis in die Siebzigerjahre. »Die Linie der Vernunft« textet das Marketing.
Linie der Vernunft: Große Glasflächen, glatte Karosserie, integrierte Front. Der Ford 17M / P3 setzte 1961 Maßstäbe im Design (Foto: Ford AG)

Montag, 13. August 2012

Folge 11: Industriedesign – Automobildesign


Industriedesign – Automobildesign
Vom Kühlschrank zum Auto und zurück

In den USA entstanden Industrial Design (Gestaltung von Gebrauchsgütern) und Automobildesign parallel – die Designabteilungen der Automobilhersteller hießen jedoch Styling Department und nicht Design Department. Das sollte in Europa Folgen haben. In den 1920er Jahren hatten Bewegungen und Schulen wie der Deutsche Werkbund, das Bauhaus, aber auch Architekten wie Le Corbusier oder Adolf Loos einen Designbegriff entwickelt und propagiert, der sich auf das Funktionale berief und jede modische Form, jedes Ornament, jede Zutat, die nicht zu begründen war, ablehnte. Man suchte nach idealen Formen, die nicht mehr zu verbessern waren und nicht nach der variablen Gebrauchsform für den Konsum. In den Augen der Europäer war daher die amerikanische Gestaltung kein Design, sondern nur Styling: eine beliebige, der Mode unterworfene und vom Publikumsgeschmack diktierte Formgestaltung, während das »wahre« Design nach der einen, perfekten Form suchte. Ganz wenige europäische Industrial Designer haben sich daher vor 1970 mit dem Automobil beschäftigt.

Nash Metropolitan 1954, Entwurf William Flajole (Foto M. Caspers)

Hauptsache Design
In Detroit hatte man damit kein Problem. Es gab Konzerne, die neben Automobilen z. B. auch Weiße Ware, Landmaschinen und Lokomotiven herstellten (Nash, Willys, GM) und es gab Designer, die keinen Unterschied sahen in der Gestaltung von Haushaltsgeräten, Investitionsgütern und Automobilen. George Walker, der spätere Designchef von Ford, arbeitete davor viele Jahre lang als selbständiger Industriedesigner und Berater für verschiedene Firmen. Designer wie Richard Arbib oder Wiliam Flajole machte sich nach ersten Erfahrungen bei GM selbständig und entwarfen Boote, Kühlschränke, Uhren, Wohnwagen und Autos (der Nash Metropolitan ist der berühmteste Entwurf von Flajole). Von Raymond Loewy und seinem Studio haben wir bereits gesprochen. Sogar Harley Earl, der Designchef vom GM, betrieb in den 1950er Jahren nebenbei ein Designbüro, in dem er Aufträge für Nicht-Autokunden abwickelte. Albrecht Goertz machte sich nach seinen Jahren bei Loewy selbstständig und designte ab 1953 u. a. Fotoapparate, Fernseher – und Autos: Kunden waren BMW, Nissan und Datsun.

Renault R8 1962, Entwurf Renault Style, Philippe Charbonneaux (Foto Regie Renault S.A.)

Nur gestylt oder schon designt?
So ein Seitenwechsel war in Europa selten. In den 1950er Jahren gibt es nicht einmal eine Handvoll Designer, die von Haushaltsgeräten zu Automobilen wechseln oder umgekehrt. In Frankreich wagt Philippe Charbonneaux, der erfolgreich Möbel und Elektrogeräte entworfen hatte, den Schritt und baut 1961 bei Renault die Designabteilung »Renault Style« auf, wo unter seiner Leitung u. a. der R8 und der R16 entstehen. In Großbritannien arbeitete Ogle Design seit 1958 für Leyland Nutzfahrzeuge, später für Reliant. Deutsche Designer wollen sich die Hände nicht am Styling verbrennen; erst Ende der Sechzigerjahre gibt es Ideen aus dem Umfeld der Hochschule für Gestaltung Ulm (autonova gt und autonova fam von Piero Manzoni und Michael Conrad) und dem Studio des HfG-Dozenten Hans Gugelot. Styling hatte in Deutschland, der Schweiz und Skandinavien ganz lange einen schlechten Beigeschmack. Als sich Giorgetto Giugiaro 1968 selbstständig machte, nannte er seine Firma erst ItalStyling, änderte den Namen dann in ItalDesign. Das war gleichzeitig der Beginn der Emanzipation des Automobildesigns als Gestaltungspraxis.

Folge 10: Zwischen Fortschritt und Rückschritt


Zwischen Fortschritt und Rückschritt
Design-Ikonen der Fünfzigerjahre

Unterbrechen wir einmal kurz den historischen Abriss und wenden wir uns der Frage zu, was gutes Automobildesign ausmacht und warum ein Auto als »Klassiker«, »Designikone« oder als »schön« eingestuft wird. Beamen wir uns zurück in die Jahre 1954-56, in denen einige spektakuläre Neuerscheinungen präsentiert werden. Hier eine kleine Auswahl: Citroen DS 19, BMW 507, Alfa Romeo Giulietta Sprint, Mercedes-Benz 300 SL, Lincoln Continental Mk 2. Welches der vorgenannten Modelle ist kein Design-Meilenstein? Richtig, der Mercedes-Benz 300 SL.

300 SL vs. 507
Der 300 SL ist eine Sportwagenikone, ist ein technisches Bravourstück, ein Marken-Mythos. Aber vom gestalterischen Gesichtspunkt ist er ein krudes Etwas, eine holprige Mischung aus Rennsportwagen, Chrombarock und ungelenken Partien. Der damalige Mercedes-Benz Entwicklungschef Uhlenhaut hat beim IAA-Rundgang 1955 angesichts des neuen BMW 507 gesagt: „so etwas kriegen wir nicht hin“. Damit hatte er recht. Die funktionale, reduzierte Klarheit des Rennsportwagens 300 SLR kann der 300 SL nicht weiterführen; seine Heckpartie ist schon 1955 altmodisch. Der unbestrittene Supersportwagen bzw. Rennsportwagen-Abkömmling ist keine Designleistung, sondern eine Karosserieentwicklung.
Dagegen der BMW 507: eine schlanke, elegante Raubkatze auf dem Sprung, für heutige Verhältnisse sehr hochbeinig und schmal, damals wie heute formal überzeugend. Der Ex-Raymond Loewy-Studebaker-Designer Albrecht Graf Goertz bekommt 1954 die Chance seines Lebens und nutzt sie. Der 507 hat über die Jahrzehnte zwar nicht das mythische Potenzial des 300 SL erreicht, aber das Auge des Gestalters erfreut er mehr.

BMW 507 von 1955: Schlank, grazil, fast italienisch, aber von einem Deutschen designt (Foto BMW AG)

Giulietta und Deésse
Bertones Alfa Romeo Giulietta Sprint von 1954 zeichnet sich durch knappe Maße und Proportionen aus, die nahezu prototypisch für die kompakten Sportcoupés der 1950er und 60er Jahre werden. Der englische Designwissenschaftler Reyner Banham hat die Giulietta Sprint schon wenige Jahre nach ihrem Erscheinen als mustergültiges Design gelobt, weil die Karosserie alles „erzählt«, was sinnvoll und wichtig ist.
Citroens DS dagegen ist eigentlich ein Paradoxon: Designer Flaminio Bertoni hatte die DS ursprünglich nach den Regeln des utopischen Streamline-Design der 1930er Jahre gezeichnet – 1955 war das schon „outdated“. Durch wenige, aber entscheidende Kniffe gelingt es ihm, die DS zum futuristischen Auto schlechthin zu machen. Ein riesiges Greenhouse mit einem dünnen Dach, das wie eine dünne Kappe scheinbar nur auf den C-Säulen ruht, lassen den Wagen wie ein viertüriges Cabriolet mit Hardtop wirken. Die glatte Gesamtform kommt wie aus einem Guss daher und wird nur durch die Türen, Motorhaube und Kofferraum in große, klare Flächen zerschnitten. Die am Dach angebrachten Blinker und der fehlende Kühlergrill fügen einen weiteren Schuss Futurismus hinzu.

Lincoln Continental Mk II von 1956: Den Cadillacs und Bentleys weit voraus (Foto Ford Motor Corporation)

Der moderne Brite aus USA
Die Ford-Edelmarke Lincoln schuf mit dem Continental Mk ein Auto, das allen GM-Kreationen mindestens ebenbürtig, wenn nicht voraus war. Fünf interne und externe Teams wurden an das Prestigeobjekt angesetzt. Das siegreiche Team unter John Reinhard und Gordon Buehrig schuf ein Luxus-Coupé, das europäische Einflüsse mit amerikanischer Größe verband – das einzige formale Manko ist die nostalgische Reserverad-Ausbuchtung im Kofferraumdeckel. Auch wenn wir heute Bentleys Continental kultig finden, 1956 war der Lincoln ganz weit vorn.

Ob man einen der vorgenannten Wagen schön findet, steht auf einem anderen Blatt – dazu hat jedes Design das Potenzial und jeder Betrachter das Recht. Gerade in der Mitte der 1950er Jahre steht das Automobildesign vor einer Bewährungsprobe: Mut zum Neuen, Sachlichen, Knappen oder Rückgriff auf tradierte Formen, die der Technik eigentlich nicht angemessen sind.

Folge 9: Exportschlager italienischer Stil


Exportschlager italienischer Stil
Die Scuola Italiana erlangt Weltgeltung

In den 1950er Jahren erholte sich Oberitalien dank Marshall-Plan und europäischem Verbund relativ schnell. Die seit 1933 in Mailand stattfindende Designmesse »Triennale« rückte in den Jahren 1954 und 1957 eine neue Formensprache ins Licht, den »Stil Novo«. Die geschwungenen Formen setzten sich klar vom rechtwinkligen Funktionalismus des Bauhaus, aber auch vom chrombeladenen Streamline-Stil der Amerikaner ab. Italienisches Design war von nun an ein Markenzeichen – auch und gerade im Automobildesign. Europäische und amerikanische Hersteller kooperierten mit den Studios der Scuola Italiana und schmückten sich mit deren Namen: Chrysler, VW, Volvo und Fiat mit Ghia; Nash, GM, Peugeot, Lancia und Austin mit Pininfarina; BMW, Alfa Romeo, Fiat, Simca mit Bertone – von den Sportwagenherstellern gar nicht zu reden.
BMW 501 »Barockengel«: Bewahrung des Vorkriegs-Looks (BMW AG)

50er Jahre: Konstruktion statt Entwurf
Während die amerikanischen Hersteller nahezu ausnahmslos eigene Styling- bzw. Designabteilungen unterhielten, war das Thema Entwurf bei den Europäern nachgeordnet. Kaum einer der größeren Hersteller hatte vor 1960 eine eigene Stylingabteilung – und wenn, dann war sie der Konstruktion untergeordnet. Die Ingenieure hatten das Sagen. Bis in die späten 1950er Jahre hielten viele Hersteller zudem am Vorkriegsgeschmack fest; der BMW 501 »Barockengel«, der 190er und der 300er Mercedes »Adenauer« kamen stilistisch noch aus den späten 1930er Jahren. Um frischen Wind in die Produktpalette zu bringen, beauftragte man externe Studios, in der Mehrzahl die italienischen. Einzelne Designer wie Michelotti oder Frua, vor allem aber die großen Studios wurden zum Entwurfs- und Entwicklungspartner der etablierten Hersteller. Oft standen die hausinternen Stilisten in Konkurrenz zu den externen Entwerfern; gegen den italienischen Stil Novo hatten sie meist keine Chance. 

Lancia Flaminia Coupé von Pininfarina – die Trapezlinie der späten Fünfzigerjahre

Pininfarina
Von den Studios der Scuola Italiana ist keines so einflussreich (und letztlich auch erfolgreich) gewesen wie PininFarina. Battista Farina hatte ein untrügliches Gespür für das Auto der Zukunft: schlank, sachlich, dennoch elegant. Er und seine Designer schufen Kleinwagen, Mittel- und Oberklasselimousinen, Coupés und reinrassige Sportwagen und verhalfen etlichen Marken zu einem Stil, zu einem Gesicht. Auch wenn Bertone, Ghia, Touring, Vignale und Zagato fantastische Entwürfe auf die Straße brachten, niemand war so produktiv und innovativ wie PininFarina. Der Einfluss dieses Studios war von 1946 an bis in die 70er Jahre nur mit GMs Styling Department zu vergleichen. Erst als in den 1970er Jahren nahezu alle Hersteller eigene Designabteilungen eingerichtet hatten und an einem Marken typischen Erscheinungsbild arbeiteten, wurde der Einfluss von Pininfarina, wie die Firma und die Familie ab 1962 offiziell geschrieben wurden, etwas weniger. Auf diese große italienische Designschmiede werden wir noch häufig zu sprechen kommen, denn von Gesamtdesigns bis hin zu Detaillösungen erwies sich Pininfarina als das innovativste Studio.

Folge 8: Die Scuola Italiana


Die Scuola Italiana

Vom Kutschbau zum Designstudio
Anders als in den Vereinigten Staaten war das Automobil in Europa bis in die 1930er Jahre hinein ein Luxusprodukt. Die meisten Hersteller stellten nur die »Rolling Chassis« her und spezielle Zulieferer, die häufig aus dem Kutschbau kamen, entwarfen und bauten die Karosserien, oft nach Kundenwunsch. So war die Situation auch in Italien, wo die meisten Karosseriebetriebe in der Nähe der Industriezentren Turin und Mailand saßen. Giovanni Farina hatte 1919 die Stabilimenti Farina gegründet, eine Karosseriebaufirma, die sich ganz dem neuen Produkt Auto widmete. Fiat und Lancia waren auf dem Weg zu Großserienherstellern, Alfa Romeo gehörte noch zu den kleinen, feinen Marken. Bei Giovanni Farina lernte nicht nur sein jüngerer Bruder Battista das Handwerk des Karosseriebauers, sondern auch Alfredo Vignale, der sich wie Battista Farina später selbständig machte – die Wiege der Scuola Italiana, der italienischen Schule des Automobildesigns.

Alfa Romeo 6C 2600 mit Touring-Karosserie von 1939. Vollendete Kompaktform mit integrierten Kotflügeln. Foto M. Caspers

Magier des Blechs
Die italienischen Karosseriebauer galten zwischen 1920 und 1960 als die unbestrittenen Meister ihres Fachs. Viele waren im althergebrachten Sinn »Kunsthandwerker«, d. h. sie entwarfen und produzierten gleichermaßen. Bis in die 1960er Jahre gab es wahre Magier des Blechs, die ohne 1:1 Zeichnung, nur von einer Skizze ausgehend, die Bleche in Form trieben. Medardo Fantuzzi bspw. schuf noch in den frühen 1960er Jahren Rennkarosserien für Maserati »aus dem Kopf« bzw. direkt von der Skizze ins Blech. Der legendäre amerikanische Designer und Chrysler-Chefstylist Virgil Exner Sr. beschrieb in den 1950er Jahren nach einem Besuch der Carrozzeria Ghia (die für Chrysler arbeitete) sein ungläubiges Staunen, wie die Handwerker nur mit dem Hammer und einfachsten Holzschablonen aberwitzige Kurven und Falze ins Blech trieben. Dazu kam, dass Italien bis in die 50er Jahre hinein ein Niedriglohnland war und die Herstellung eines Prototypen nur ein Drittel, manchmal nur ein Zehntel dessen kostete, was in den USA veranschlagt wurde.
Lancia Aprilia Aerodinamica 1937 mit Pininfarina-Karosserie. Foto Pininfarina S.p.A. 
Der »Kleine« wird ganz groß
1930 machte sich Battista Farina, der jüngere Bruder von Giovanni, unter seinem Kosenamen Pinin (der Kleine) selbstständig. Fast aus dem Stand avancierte die Carrozzeria PininFarina zur ersten Adresse des italienischen Karosseriebaus, sowohl für Sport- und Rennwagen, als auch für Luxusanfertigungen. Berühmte italienische Autodesigner wie Giovanni Michelotti und Pietro Frua hatten bei PininFarina gelernt, bevor sie sich nach dem Krieg selbständig machten. Doch vor allem die Konkurrenz verschiedener Firmen führte zur Vorrangsstellung des italienischen Automobildesigns in Europa: Die legendäre Carrozzeria Touring (1926 gegründet) entwickelte das »Superleggera«-Prinzip einer filigranen Rohrrahmen-Karosserie, über die Aluminiumbleche gespannt wurden. Die bereits seit 1919 bestehende Carrozzeria Zagato bestach durch unnachahmliche Sport- und Rennkarosserien und gehörte neben der schon 1912 gegründeten Carrozzeria Bertone zur Avantgarde der Scuola Italiana im Automobildesign.

Folge 7: Turin und Detroit


Turin und Detroit

Die italienischen Carrozzerie hatten sich bereits in den 1930er Jahren mit ihren Entwürfen für Luxusautos und für Sportwagen weltweit Anerkennung verschafft. Die amerikanischen Hersteller glänzten mit Massenware und Chrom. Zwei verschiedene Welten? Ja und nein. Denn Turin und Detroit arbeiteten viel enger zusammen, als man denkt.

Fließband gegen Handarbeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Europa in Trümmern, für Luxusautos und Rennwagen war der Bedarf extrem geschrumpft. Es ging um Massenmotorisierung auf zwei und auf vier Rädern. Massenmotorisierung bedeutete aber Fließband und Standardisierung – beides die Todfeinde der italienischen Karosseriebetriebe mit Handarbeit. Die größten von ihnen, Bertone, Ghia, Pininfarina und Touring, suchten sehr früh internationale Kontakte, denn die italienische Autoindustrie allein war zu klein, um alle Stylingstudios zu ernähren. Harley Earl schätzte Battista Pininfarina sehr, traf ihn einige Male auf Auto Shows. Daraus entstanden Kontakte zu GM, vor allem aber zu Nash, für die die Italiener »Hausschneider« wurden und Nash zu einem Trendsetter machten. Pininfarina war bereits in den 1920er Jahren in den USA gereist, um sich bei Ford über die aktuellen Trends zu informieren.
Der 1951 (!) von Pininfarina designte Nash Ambassador blieb ein futuristischer Prototyp (Archiv)

Concept Cars aus Turin
Schon 1949 hatte Virgil Exner, der spätere Designchef von Chrysler, die Zusammenarbeit mit Turin forciert und erarbeitete mit der Carrozzeria Ghia sowohl Concept Cars wie die berühmten »Gilda« und »Dart« als auch Serienmodelle. Es war aber nicht nur der Stil, mit dem die Italiener punkteten – sie waren außerdem exzellente Handwerker und viel günstiger als die amerikanischen Karosseriebauer, von denen es im Zuge der Standardisierung und Rationalisierung immer weniger gab. Selbst die Verschiffung der Chassis eingerechnet, war es billiger, Concept Cars und Showcars in Italien aufbauen zu lassen und dann nach Detroit zurück zu schicken, als sie von US-Betrieben vor Ort bauen zu lassen.
Gilda von 1955 war eine Zusammenarbeit von Chrysler mit Ghia und eine Reverenz an die Schauspielerin Rita Hayworth in dem gleichnamigen Film (Chrysler Corp.)

Exportschlager Stil
Dennoch war es für einige italienische Carrozzerie nicht leicht, das Überleben zu sichern – Bertone stand trotz Arbeiten für Alfa Romeo 1952 kurz vor der Pleite und wurde durch einen Auftrag für den amerikanischen Geschäftsmann »Wacky« Arnolt gerettet (der Arnolt-Bristol bekam eine Bertone-Karosserie). Italiens großer Exportschlager in den 1950er Jahren war aber der Stil bzw. das italienische Design. Der nächste Schritt für die Turiner Studios war daher, eigene Produktionslinien aufzubauen, auf denen sie Serien für die großen Hersteller bauten – eine frühe Form des Outsourcing. Kleinere Firmen versuchten sich als reine Stylingstudios zu profilieren oder bauten Kleinstserien in Handarbeit für Ferrari, Maserati oder Alfa Romeo: Vignale, Zagato, Frua, Michelotti, Nachdem Mitte der 1950er Jahre Europa wieder prosperierte, kam das auch der Automobilindustrie zu Gute – der Absatz zog an. Da die meisten europäischen Hersteller noch keine eigene Stylingabteilung besaßen, kaufte man sich die Expertise und den Stil der Italiener ein – der Beginn des Siegeszugs der »Scuola Italiana« im Automobildesign und die europäische Antwort auf den Chrombarock der Amerikaner. Bis Ende der 1960er Jahre sollte das so bleiben.

Folge 6: Alltagsautos und Concept Cars


Alltagsautos und Concept Cars

Die 1930er Jahre waren die erste Hochphase des Automobildesigns. Es entstanden luxuriöse Einzelanfertigungen im Zeichen der Stromlinie bei großen Karossiers wie Pourtout, Figoni & Falaschi, Touring, Pininfarina, Erdmann & Rossi und vielen anderen. Gleichzeitig wurde der Massenmarkt immer wichtiger und die Suche nach einem Alltagsauto, oft als Kleinwagenkonzept, trieb in Europa Ingenieure und Politiker an. Schließlich trug der Motorsport zur Entwicklung neuer kompakter und windschlüpfriger Karosserien bei, die Spuren im Design von Alltagsautos hinterließen. Vor allem die italienischen Karosserieschmieden Touring, Pininfarina und Zagato waren hier federführend und sorgten für die Vermischung von echter Aerodynamik und kompakter Karosserieform als innovativem Designansatz.

Concept Cars als Zukunftvisionen
Es waren wieder einmal die amerikanischen Hersteller, die neue Vermarktungsstrategien erdachten. Jenseits der Technik war die automobile Form zum Verkaufsargument und zum Faszinationspunkt schlechthin geworden: Man müsste den Leuten etwas zu träumen geben: Concept Cars! Die amerikanischen Marken produzierten Masse – um dennoch einen Vorgeschmack auf die Zukunft zu geben und zu zeigen, wie das Auto der Träume aussehen könnte, kam Harley Earl 1939 auf die Idee, ein Concept Car auf die Räder zu stellen, den Buick Y-Job. In diesem Design verwirklichte er viele Ideen, die für einen angenommenen Massengeschmack und damit Massenmarkt noch zu avantgardistisch waren, die aber die Faszination für die Marke Buick schüren sollten. Der Buick Y-Job war ein großes Cabrio, das relativ weit in den Fahrzeugkorpus integrierte Kotflügel aufwies, in den die Scheinwerfer durch einen Klappmechanismus verborgen waren – Schlafaugen wie beim drei Jahre früher erschienen Cord 810. Die Seiten und die Front hatte Harley Earl sehr klar gestaltet und nur mit Streifen im Art Déco-Stil optisch beschleunigt.
Harley Earl am Steuer des ersten Concept Car, des Buick Y-Job von 1939 (GM Corp.)

Das Auto der Zukunft ist kompakt
Der Konkurrent Chrysler wollte nicht nachstehen und gab zwei Jahre später ebenfalls ein Concept Car, den Chrysler Thunderbolt in Auftrag, der im Gegensatz zum Buick Y-Job eine schnörkellose Pontonform, ebenfalls mit in der Karosserie versenkten Scheinwerfern bot. Der Designer Alex Tremulis hatte in Zusammenarbeit mit dem Karosseriebauer LeBaron wirklich das Auto der Zukunft entworfen. So weit vorne der Y-Job 1939 schien, Chryslers Thunderbolt lies den Buick bereits alt aussehen. Verdeckte Räder, eine gleichmäßig umlaufende Bodenleiste, vor allem aber eine durchgearbeitete Pontonform, aus der nur eine kleine Nase auf der Motorhaube herausragte. Der Designer Tremulis wurde mit dem Thunderbolt zu einem Spezialisten für Future Cars und sollte in den 1950er Jahren noch einige bahnbrechende Entwürfe für Ford abliefern. Sowohl die Motoramas als auch andere Autoshows wurden zur futuristischen Leistungsschau von Amerikas Herstellern – ab 1950 teilweise mit Unterstützung italienischer Karosseriebauer wie Ghia und Pininfarina, die für Chrysler, Nash, aber auch für GM Concept Cars entwarfen und bauten.
Chryslers Antwort 1941: der von Alex Tremulis designte Thunderbolt (Chrysler Corp.)

Folge 5: Kompaktform und Streamline


Kompaktform und Streamline

In den 1930er Jahren hatte sich die Palette der Autos differenziert: Es gab die großen Luxuswagen, deren Karosserie von spezialisierten Betrieben nach den Vorstellungen der Kunden in Form gebracht wurden. Es gab mittlerweile aber auch einen beachtlichen Markt für Alltagsautos, die in immer größeren Stückzahlen vom Band liefen. Doch deren Design kam meistens von Ingenieuren, die mit der Karosserieentwicklung betraut waren. Gleichzeitig erfolgte die Umstellung auf die Ganzstahlkarosserie, teilweise die Umstellung auf selbsttragende Karosserien. Das Design für die auf dem Fließband produzierten Alltagsautos war insofern fortschrittlich, als die Kompaktform mit integrierten Kotflügeln für den Produktionsprozess günstiger war als ausladende, freistehende Kotflügel. Der Motorsport und die nun in voller Blüte stehende Aerodynamik trugen ebenfalls zur Durchsetzung der Kompaktform bei.

Streamline Design – die erste Mode
Entscheidend für die Entwicklung des Automobildesigns wurde das Konzept der Stromlinie, die in den USA als Streamline Design nicht nur bei Autos, sondern auch bei häuslichen Gebrauchsgegenständen Anwendung fand. Das Streamline Design ist der Beginn des Industrial Designs in allen Bereichen der Güterproduktion, basierend auf den Einsichten, die das Marketing als ebenfalls neue Disziplin für die Warenproduktion gewonnen hatte. Produkte über die Form zu verkaufen, war in den USA das Erfolgsrezept, während es in Europa von vielen Vertretern einer funktionalen Gestaltungstheorie misstrauisch betrachtet und als »Styling« abqualifiziert wurde.
Der von Gordon Buerig entworfene Cord, hier der Prototyp des 814er Modells (Archiv)

Design als Verkaufsargument
Dem Vorbild Amerikas folgend, erkannten immer mehr Unternehmen die Bedeutung der Karosserieform für die Vermarktung der Autos und beschäftigten zunehmend freie Designer.
Nach dem Giganten GM und der von Harley Earl aufgebauten »Art and Colour Section« gingen auch andere Hersteller den Weg des Designs als Verkaufsargument. Gordon Buehrig arbeitete schon als junger Mann verantwortlich für die Marken Auburn, Duesenberg, Stutz und Cord. Der Cord 810 (1935/36), entworfen von Buehrig, gilt als Meilenstein der Designgeschichte und beeinflusste das Design von GM-Modellen bis hin zum Opel Kapitän aus dem Jahr 1938.
Der Versuchswagen »Ley T6«, 1922 von Paul Jaray nach aerodynamischen Gesetzmäßigkeiten entworfen (shorey.net)

Streamline und Stromlinie
Gleichzeitig entwickelten in Europa eine Reihe von Ingenieuren die Erforschung der Stromlinie bzw. die Aerodynamik als Forschungszweig weiter und kleideten nach ihren Erkenntnissen auch Autos ein. Allerdings machten sie das weniger unter einem Designaspekt, sondern sie sahen die Stromlinie als funktionale Form zur Einsparung von Energie. Schon Anfang der 1920er Jahre hatten Eduard Rumpler und Paul Jaray Versuchswagen aerodynamisch effizient verkleidet, die aber nie in Serie gingen, sieht man vom Rumpler Tropfenwagen ab, von dem etwa 100 Stück gebaut wurden. Die Stromlinie hatte aber auch Nachteile: lang gezogene Karosserien, unübersichtlich und oft ein wenig unbeholfen.