Montag, 13. August 2012

Folge 7: Turin und Detroit


Turin und Detroit

Die italienischen Carrozzerie hatten sich bereits in den 1930er Jahren mit ihren Entwürfen für Luxusautos und für Sportwagen weltweit Anerkennung verschafft. Die amerikanischen Hersteller glänzten mit Massenware und Chrom. Zwei verschiedene Welten? Ja und nein. Denn Turin und Detroit arbeiteten viel enger zusammen, als man denkt.

Fließband gegen Handarbeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Europa in Trümmern, für Luxusautos und Rennwagen war der Bedarf extrem geschrumpft. Es ging um Massenmotorisierung auf zwei und auf vier Rädern. Massenmotorisierung bedeutete aber Fließband und Standardisierung – beides die Todfeinde der italienischen Karosseriebetriebe mit Handarbeit. Die größten von ihnen, Bertone, Ghia, Pininfarina und Touring, suchten sehr früh internationale Kontakte, denn die italienische Autoindustrie allein war zu klein, um alle Stylingstudios zu ernähren. Harley Earl schätzte Battista Pininfarina sehr, traf ihn einige Male auf Auto Shows. Daraus entstanden Kontakte zu GM, vor allem aber zu Nash, für die die Italiener »Hausschneider« wurden und Nash zu einem Trendsetter machten. Pininfarina war bereits in den 1920er Jahren in den USA gereist, um sich bei Ford über die aktuellen Trends zu informieren.
Der 1951 (!) von Pininfarina designte Nash Ambassador blieb ein futuristischer Prototyp (Archiv)

Concept Cars aus Turin
Schon 1949 hatte Virgil Exner, der spätere Designchef von Chrysler, die Zusammenarbeit mit Turin forciert und erarbeitete mit der Carrozzeria Ghia sowohl Concept Cars wie die berühmten »Gilda« und »Dart« als auch Serienmodelle. Es war aber nicht nur der Stil, mit dem die Italiener punkteten – sie waren außerdem exzellente Handwerker und viel günstiger als die amerikanischen Karosseriebauer, von denen es im Zuge der Standardisierung und Rationalisierung immer weniger gab. Selbst die Verschiffung der Chassis eingerechnet, war es billiger, Concept Cars und Showcars in Italien aufbauen zu lassen und dann nach Detroit zurück zu schicken, als sie von US-Betrieben vor Ort bauen zu lassen.
Gilda von 1955 war eine Zusammenarbeit von Chrysler mit Ghia und eine Reverenz an die Schauspielerin Rita Hayworth in dem gleichnamigen Film (Chrysler Corp.)

Exportschlager Stil
Dennoch war es für einige italienische Carrozzerie nicht leicht, das Überleben zu sichern – Bertone stand trotz Arbeiten für Alfa Romeo 1952 kurz vor der Pleite und wurde durch einen Auftrag für den amerikanischen Geschäftsmann »Wacky« Arnolt gerettet (der Arnolt-Bristol bekam eine Bertone-Karosserie). Italiens großer Exportschlager in den 1950er Jahren war aber der Stil bzw. das italienische Design. Der nächste Schritt für die Turiner Studios war daher, eigene Produktionslinien aufzubauen, auf denen sie Serien für die großen Hersteller bauten – eine frühe Form des Outsourcing. Kleinere Firmen versuchten sich als reine Stylingstudios zu profilieren oder bauten Kleinstserien in Handarbeit für Ferrari, Maserati oder Alfa Romeo: Vignale, Zagato, Frua, Michelotti, Nachdem Mitte der 1950er Jahre Europa wieder prosperierte, kam das auch der Automobilindustrie zu Gute – der Absatz zog an. Da die meisten europäischen Hersteller noch keine eigene Stylingabteilung besaßen, kaufte man sich die Expertise und den Stil der Italiener ein – der Beginn des Siegeszugs der »Scuola Italiana« im Automobildesign und die europäische Antwort auf den Chrombarock der Amerikaner. Bis Ende der 1960er Jahre sollte das so bleiben.

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