Zwischen
Fortschritt und Rückschritt
Design-Ikonen
der Fünfzigerjahre
Unterbrechen wir einmal kurz den historischen Abriss und
wenden wir uns der Frage zu, was gutes Automobildesign ausmacht und warum ein
Auto als »Klassiker«, »Designikone« oder als »schön« eingestuft wird. Beamen
wir uns zurück in die Jahre 1954-56, in denen einige spektakuläre
Neuerscheinungen präsentiert werden. Hier eine kleine Auswahl: Citroen DS 19,
BMW 507, Alfa Romeo Giulietta Sprint, Mercedes-Benz 300 SL, Lincoln Continental
Mk 2. Welches der vorgenannten Modelle ist kein Design-Meilenstein? Richtig,
der Mercedes-Benz 300 SL.
300 SL vs. 507
Der 300 SL ist eine Sportwagenikone, ist ein technisches
Bravourstück, ein Marken-Mythos. Aber vom gestalterischen Gesichtspunkt ist er
ein krudes Etwas, eine holprige Mischung aus Rennsportwagen, Chrombarock und
ungelenken Partien. Der damalige Mercedes-Benz Entwicklungschef Uhlenhaut hat
beim IAA-Rundgang 1955 angesichts des neuen BMW 507 gesagt: „so etwas kriegen
wir nicht hin“. Damit hatte er recht. Die funktionale, reduzierte Klarheit des
Rennsportwagens 300 SLR kann der 300 SL nicht weiterführen; seine Heckpartie
ist schon 1955 altmodisch. Der unbestrittene Supersportwagen bzw.
Rennsportwagen-Abkömmling ist keine Designleistung, sondern eine
Karosserieentwicklung.
Dagegen der BMW 507: eine schlanke, elegante Raubkatze auf
dem Sprung, für heutige Verhältnisse sehr hochbeinig und schmal, damals wie
heute formal überzeugend. Der Ex-Raymond Loewy-Studebaker-Designer Albrecht
Graf Goertz bekommt 1954 die Chance seines Lebens und nutzt sie. Der 507 hat
über die Jahrzehnte zwar nicht das mythische Potenzial des 300 SL erreicht,
aber das Auge des Gestalters erfreut er mehr.
BMW 507 von 1955: Schlank, grazil, fast italienisch, aber von einem Deutschen designt (Foto BMW AG)
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Giulietta und
Deésse
Bertones Alfa Romeo Giulietta Sprint von 1954 zeichnet sich
durch knappe Maße und Proportionen aus, die nahezu prototypisch für die
kompakten Sportcoupés der 1950er und 60er Jahre werden. Der englische
Designwissenschaftler Reyner Banham hat die Giulietta Sprint schon wenige Jahre nach
ihrem Erscheinen als mustergültiges Design gelobt, weil die Karosserie alles
„erzählt«, was sinnvoll und wichtig ist.
Citroens DS dagegen ist eigentlich ein Paradoxon: Designer
Flaminio Bertoni hatte die DS ursprünglich nach den Regeln des utopischen
Streamline-Design der 1930er Jahre gezeichnet – 1955 war das schon „outdated“. Durch wenige, aber entscheidende Kniffe gelingt es ihm, die DS zum
futuristischen Auto schlechthin zu machen. Ein riesiges Greenhouse mit einem
dünnen Dach, das wie eine dünne Kappe scheinbar nur auf den C-Säulen ruht,
lassen den Wagen wie ein viertüriges Cabriolet mit Hardtop wirken. Die glatte
Gesamtform kommt wie aus einem Guss daher und wird nur durch die Türen,
Motorhaube und Kofferraum in große, klare Flächen zerschnitten. Die am Dach
angebrachten Blinker und der fehlende Kühlergrill fügen einen weiteren Schuss
Futurismus hinzu.
Lincoln Continental Mk II von 1956: Den Cadillacs und Bentleys weit
voraus (Foto Ford Motor Corporation)
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Der moderne
Brite aus USA
Die Ford-Edelmarke Lincoln schuf mit dem Continental Mk ein
Auto, das allen GM-Kreationen mindestens ebenbürtig, wenn nicht voraus war.
Fünf interne und externe Teams wurden an das Prestigeobjekt angesetzt. Das
siegreiche Team unter John Reinhard und Gordon Buehrig schuf ein Luxus-Coupé,
das europäische Einflüsse mit amerikanischer Größe verband – das einzige
formale Manko ist die nostalgische Reserverad-Ausbuchtung im Kofferraumdeckel.
Auch wenn wir heute Bentleys Continental kultig finden, 1956 war der Lincoln
ganz weit vorn.
Ob man einen der vorgenannten Wagen schön findet, steht auf
einem anderen Blatt – dazu hat jedes Design das Potenzial und jeder Betrachter
das Recht. Gerade in der Mitte der 1950er Jahre steht das Automobildesign vor
einer Bewährungsprobe: Mut zum Neuen, Sachlichen, Knappen oder Rückgriff auf
tradierte Formen, die der Technik eigentlich nicht angemessen sind.
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