Montag, 13. August 2012

Folge 8: Die Scuola Italiana


Die Scuola Italiana

Vom Kutschbau zum Designstudio
Anders als in den Vereinigten Staaten war das Automobil in Europa bis in die 1930er Jahre hinein ein Luxusprodukt. Die meisten Hersteller stellten nur die »Rolling Chassis« her und spezielle Zulieferer, die häufig aus dem Kutschbau kamen, entwarfen und bauten die Karosserien, oft nach Kundenwunsch. So war die Situation auch in Italien, wo die meisten Karosseriebetriebe in der Nähe der Industriezentren Turin und Mailand saßen. Giovanni Farina hatte 1919 die Stabilimenti Farina gegründet, eine Karosseriebaufirma, die sich ganz dem neuen Produkt Auto widmete. Fiat und Lancia waren auf dem Weg zu Großserienherstellern, Alfa Romeo gehörte noch zu den kleinen, feinen Marken. Bei Giovanni Farina lernte nicht nur sein jüngerer Bruder Battista das Handwerk des Karosseriebauers, sondern auch Alfredo Vignale, der sich wie Battista Farina später selbständig machte – die Wiege der Scuola Italiana, der italienischen Schule des Automobildesigns.

Alfa Romeo 6C 2600 mit Touring-Karosserie von 1939. Vollendete Kompaktform mit integrierten Kotflügeln. Foto M. Caspers

Magier des Blechs
Die italienischen Karosseriebauer galten zwischen 1920 und 1960 als die unbestrittenen Meister ihres Fachs. Viele waren im althergebrachten Sinn »Kunsthandwerker«, d. h. sie entwarfen und produzierten gleichermaßen. Bis in die 1960er Jahre gab es wahre Magier des Blechs, die ohne 1:1 Zeichnung, nur von einer Skizze ausgehend, die Bleche in Form trieben. Medardo Fantuzzi bspw. schuf noch in den frühen 1960er Jahren Rennkarosserien für Maserati »aus dem Kopf« bzw. direkt von der Skizze ins Blech. Der legendäre amerikanische Designer und Chrysler-Chefstylist Virgil Exner Sr. beschrieb in den 1950er Jahren nach einem Besuch der Carrozzeria Ghia (die für Chrysler arbeitete) sein ungläubiges Staunen, wie die Handwerker nur mit dem Hammer und einfachsten Holzschablonen aberwitzige Kurven und Falze ins Blech trieben. Dazu kam, dass Italien bis in die 50er Jahre hinein ein Niedriglohnland war und die Herstellung eines Prototypen nur ein Drittel, manchmal nur ein Zehntel dessen kostete, was in den USA veranschlagt wurde.
Lancia Aprilia Aerodinamica 1937 mit Pininfarina-Karosserie. Foto Pininfarina S.p.A. 
Der »Kleine« wird ganz groß
1930 machte sich Battista Farina, der jüngere Bruder von Giovanni, unter seinem Kosenamen Pinin (der Kleine) selbstständig. Fast aus dem Stand avancierte die Carrozzeria PininFarina zur ersten Adresse des italienischen Karosseriebaus, sowohl für Sport- und Rennwagen, als auch für Luxusanfertigungen. Berühmte italienische Autodesigner wie Giovanni Michelotti und Pietro Frua hatten bei PininFarina gelernt, bevor sie sich nach dem Krieg selbständig machten. Doch vor allem die Konkurrenz verschiedener Firmen führte zur Vorrangsstellung des italienischen Automobildesigns in Europa: Die legendäre Carrozzeria Touring (1926 gegründet) entwickelte das »Superleggera«-Prinzip einer filigranen Rohrrahmen-Karosserie, über die Aluminiumbleche gespannt wurden. Die bereits seit 1919 bestehende Carrozzeria Zagato bestach durch unnachahmliche Sport- und Rennkarosserien und gehörte neben der schon 1912 gegründeten Carrozzeria Bertone zur Avantgarde der Scuola Italiana im Automobildesign.

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