Die Scuola
Italiana
Vom Kutschbau
zum Designstudio
Anders als in den Vereinigten Staaten war das Automobil in
Europa bis in die 1930er Jahre hinein ein Luxusprodukt. Die meisten Hersteller
stellten nur die »Rolling Chassis« her und spezielle Zulieferer, die häufig aus
dem Kutschbau kamen, entwarfen und bauten die Karosserien, oft nach
Kundenwunsch. So war die Situation auch in Italien, wo die meisten
Karosseriebetriebe in der Nähe der Industriezentren Turin und Mailand saßen.
Giovanni Farina hatte 1919 die Stabilimenti Farina gegründet, eine
Karosseriebaufirma, die sich ganz dem neuen Produkt Auto widmete. Fiat und
Lancia waren auf dem Weg zu Großserienherstellern, Alfa Romeo gehörte noch zu
den kleinen, feinen Marken. Bei Giovanni Farina lernte nicht nur sein jüngerer
Bruder Battista das Handwerk des Karosseriebauers, sondern auch Alfredo
Vignale, der sich wie Battista Farina später selbständig machte – die Wiege der
Scuola Italiana, der italienischen Schule des Automobildesigns.
Alfa Romeo 6C 2600 mit Touring-Karosserie von 1939. Vollendete
Kompaktform mit integrierten Kotflügeln. Foto M. Caspers
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Magier des
Blechs
Die italienischen Karosseriebauer galten zwischen 1920 und
1960 als die unbestrittenen Meister ihres Fachs. Viele waren im
althergebrachten Sinn »Kunsthandwerker«, d. h. sie entwarfen und produzierten
gleichermaßen. Bis in die 1960er Jahre gab es wahre Magier des Blechs, die ohne
1:1 Zeichnung, nur von einer Skizze ausgehend, die Bleche in Form trieben.
Medardo Fantuzzi bspw. schuf noch in den frühen 1960er Jahren Rennkarosserien
für Maserati »aus dem Kopf« bzw. direkt von der Skizze ins Blech. Der legendäre
amerikanische Designer und Chrysler-Chefstylist Virgil Exner Sr. beschrieb in
den 1950er Jahren nach einem Besuch der Carrozzeria Ghia (die für Chrysler
arbeitete) sein ungläubiges Staunen, wie die Handwerker nur mit dem Hammer und
einfachsten Holzschablonen aberwitzige Kurven und Falze ins Blech trieben. Dazu
kam, dass Italien bis in die 50er Jahre hinein ein Niedriglohnland war und die
Herstellung eines Prototypen nur ein Drittel, manchmal nur ein Zehntel dessen
kostete, was in den USA veranschlagt wurde.
Lancia Aprilia Aerodinamica 1937 mit Pininfarina-Karosserie. Foto Pininfarina S.p.A. |
Der »Kleine«
wird ganz groß
1930 machte sich Battista Farina, der jüngere Bruder von
Giovanni, unter seinem Kosenamen Pinin (der Kleine) selbstständig. Fast aus dem
Stand avancierte die Carrozzeria PininFarina zur ersten Adresse des
italienischen Karosseriebaus, sowohl für Sport- und Rennwagen, als auch für
Luxusanfertigungen. Berühmte italienische Autodesigner wie Giovanni Michelotti
und Pietro Frua hatten bei PininFarina gelernt, bevor sie sich nach dem Krieg
selbständig machten. Doch vor allem die Konkurrenz verschiedener Firmen führte
zur Vorrangsstellung des italienischen Automobildesigns in Europa: Die
legendäre Carrozzeria Touring (1926 gegründet) entwickelte das
»Superleggera«-Prinzip einer filigranen Rohrrahmen-Karosserie, über die
Aluminiumbleche gespannt wurden. Die bereits seit 1919 bestehende Carrozzeria
Zagato bestach durch unnachahmliche Sport- und Rennkarosserien und gehörte
neben der schon 1912 gegründeten Carrozzeria Bertone zur Avantgarde der Scuola
Italiana im Automobildesign.
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